Kommentar zum Lobby-Brief des asut zum Bericht "Nachhaltiges Mobilfunknetz"
Der Schweizerische Verband der Telekommunikation (asut) hat kürzlich einen Lobby-Brief an die Kommission für Fernmelde- und Verkehrswesen des Nationalrats (KVF-N) verschickt. Diese Kommission tagt am Montag, den 22. August 2022 und wird den Bericht "Nachhaltiges Mobilfunknetz" zum Postulat Nr. 19.4043 von Ständerätin Brigitte Häberli-Koller (TG/Die Mitte) behandeln.
Der vom Bundesrat in Auftrag gegebene Bericht ist in fachlicher Hinsicht eine Peinlichkeit. Statt ohne vorgefasste Meinung eine neutrale Analyse der aktuellen Situation und der zukünftigen Entwicklungen ausarbeiten zu lassen, wird über weite Teile 5G-Propaganda betrieben. 5G muss rasch mit allen Mitteln durchgesetzt werden und der bundesrätliche Bericht dient der Branche als willkommenes Vertriebshilfsmittel. Aus dem Bericht geht hervor, dass es dem Bundesrat offenkundig an einer längerfristigen Perspektive zur Entwicklung der Fernmeldenetze in der Schweiz fehlt. Eine gewisse Hilflosigkeit des Bundesrates bei dieser komplexen Angelegenheit kommt zum Ausdruck. Das wird von der Mobilfunkbranche und deren Lobby ausgenutzt, welche den Bundesrat seit geraumer Zeit vor sich hertreibt. Wenn es so weiter geht, ist nicht auszuschliessen, dass es in nicht allzu ferner Zeit der Telekombranche in der Schweiz gleich ergehen wird wie damals der Flugbranche.
Die bürgerlich dominierte Kommission für Fernmelde- und Verkehrswesen des Nationalrates war in der Vergangenheit stets sehr mobilfunkbetreiberfreundlich. Gesundheit und Vorsorge interessierten weniger, dafür das zu erwartende Geschäft mit 5G-Dienstleistungen um so mehr. Am 5. Sept. 2022 wird sich dann auch noch die KVF-S des Ständerats mit dem Bericht befassen. Dort hat man in der Vergangenheit meist mit Besonnenheit reagiert. Man darf auf einen weiteren Lobby-Brief des asut gespannt sein.
Der Lobby-Brief ist voll von Angstmacherei, Verdrehungen, Auslassungen und gar Drohungen. Käme der Brief von einem anderen Absender, würde er als Verschwörungstheorie im Papierkorb landen. Nachfolgend kurz das Wichtigste aus diesem Brief:
1. Die Mobilfunkindustrie fordert, dass ihre Funkanlagen nicht mehr den gesetzlichen Baubewilligungsverfahren unterstellt sein sollen. Gemeinden und Kantone sollen nichts mehr mit Mobilfunkantennen zu tun haben, was den einen oder anderen wohl recht wäre, weil dann die lästige Baubewilligungsarbeit und der Ärger mit der betroffenen Bevölkerung auf einen Schlag weg wären.
2. Die Betreiber wollen ihre Funkanlagen jederzeit und ohne Bewilligungen beliebig Um- und Aufrüsten können. Kontrollen ihrer Anlagen wollen sie – noch mehr als bisher – gleich selber durchführen. Das werde die Arbeitslast bei den zuständigen Vollzugsbehörden erheblich reduzieren. Selbstkontrolle der Betreiber soll es richten.
3. Auf den aus wissenschaftlicher Sicht nachweislich unzulänglichen Empfehlungen eines privaten industrienahen Vereins (ICNIRP) im Ausland, sollen die schweizerischen Immissionsgrenzwerte neu über 30 Minuten gemittelt werden. Das ist eine weitere versteckte Grenzwertlockerung, wie sie der Bundesrat über Weihnachten 2021 bereits für die Emissionsbegrenzungen von Mobilfunkanlagen vorgenommen hatte.
4. Diese Emissionsbegrenzung von Funkanlagen sollen aber noch weiter gelockert werden. Gemäss dem Bericht "Mobilfunk und Strahlung" von 2019, welcher von einer Gruppe unter Regie der Mobilfunklobby verfasst wurde, sollen Mobilfunkanlagen mit einer abgestrahlten Sendeleistung von weniger als 100 Watt vom Anlagegrenzwert gänzlich ausgenommen werden. Dieser gilt beispielsweise für Wohnungen, Büros, Schulen, Kindergärten, Spitäler und Altenheime und beträgt bislang nur 6 Watt. Zudem soll der Anlagegrenzwert zukünftig für jeden Mobilfunkbetreiber einzeln gelten. Eine gesamthafte Beurteilung der Strahlenbelastung in Innenräumen soll es somit nicht mehr geben. Hauptbetroffene werden diejenigen Anwohner sein, welche von mehreren Funkmasten gleichzeitig bestrahlt werden.
5. Das Beschwerderecht in den Gemeinden soll vom Bund beschnitten werden, weil 3200 Anlagen durch Einsprechen:innen blockiert seien. Wer landesweit viele Bauprojekte fast gleichzeitig einreicht, muss logischerweise auch mit vielen Einsprachen rechnen. Das weiss man in der übrigen Baubrache und bereitet sich deshalb mit einer sorgfältigen zeitlichen Planung darauf vor. Es zeugt von purer Arroganz, wenn die Mobilfunkbranche einfach das gesetzliche Beschwerderecht exklusiv für sich abschaffen möchte. Wehret den Anfängen lautet eine alte Weisheit. Welche Branchen werden mit vergleichbaren Forderungen folgen, wenn der Zwängerei der Mobilfunkbetreiber Folge geleistet wird?
6. Als begleitende Massnahme soll die öffentliche Hand dafür sorgen, dass die Mobilfunkbetreiber leichter zu neuen Standorten für ihre Anlagen gelangen. Private Grundeigentümer wissen inzwischen um die gesundheitlichen und finanziellen Risiken von Mobilfunkanlagen gut Bescheid und schliessen deshalb keine Antennenverträge ab oder kündigen bestehende. Als Beispiel sind die SBB zu nennen, welche ihre Grundstücke und eigenen Mobilfunkanlagen verstärkt den Mobilfunkbetreibern lukrativ vermieten. Versteckte Bundeshilfe für den eigentlich liberalisierten Telekommunikationsmarkt nennt sich das. Auch Gemeinden und Kantone vermieten ihre Gebäude, Grundstücke und Infrastrukturen immer häufiger unter Marktwert für Antennen, weil die Mobilfunkbetreiber keine marktüblichen Mietzinsen für Antennenstandorte bei Privaten zahlen wollen.
7. Im Bericht wird Bezug auf Modellrechnungen der IT'IS Stiftung in Zürich genommen. Sämtliche Berechnungen basieren gemäss den Autoren auf Annahmen und die wenigen miteinbezogenen Zahlen stammen unverifiziert von den Mobilfunkbetreibern selber. Entsprechend vorsichtig sind die gezogenen Schlussfolgerungen aus den Modellrechnungen zu beurteilen. Dies gilt insbesondere für diejenigen im Lobby-Brief des asut.
8. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Bundesrat demnächst die vom asut angekündigte Revision der NISV vorlegen wird, wo alle diese dreisten Forderungen der Mobilfunkbranche eingeflossen sein werden.